Wir lieben den Status quo. Nur so laufen Unternehmen und Vereine, Kirchen und Parteien weiter. Sobald sich aber das Umfeld verändert ist es eine Gefahr, wenn uns die Macht der Gewohnheit anzieht wie der Erdkern unsere Körper.
Und unser Umfeld ändert sich ständig: Wertvorstellungen, Technologien, Gesetze, Klima, Konsumverhalten, Rohstoffpreise und so weiter.
Faktoren verstärken sich gegenseitig oder schwächen einander ab. Manches ändert sich abrupt, anderes graduell.
Ein Aspekt bleibt jedoch gleich: Organisationen wachsen auf lange Sicht nur, wenn sie es immer wieder schaffen, einen Bedarf zu decken.
Indem sie Produkte oder Dienstleistungen anbieten, die Menschen haben wollen. Alles andere zählt auf Dauer nicht.
Doch mit der Zeit gerät diese Tatsache in den Hintergrund, die Routinen in Organisationen werden zum Selbstzweck. Die Strukturen verhärten, die Widerstandskraft schwindet.
An diesem Zeitpunkt müssen sich Organisationen erneuern. Das ist aufgrund ihrer Statik aber nicht mehr möglich. Jede Krise, jeder Schock bedroht in diesem Zustand die Existenz.
Kraftakte reichen manchmal aus, um im Moment zu überleben. Aber ohne Strategie ist es nur eine Frage der Zeit bis zum Kollaps.
Die Symptome: Unternehmen machen weiter wie zuvor, auch wenn Umsätze sinken oder sich Ergebnisse verschlechtern. Parteien halten an Programmen fest, obwohl sie zunehmend Stimmen einbüßen. Kirchen und Vereine verlieren einerseits Mitglieder und haben andererseits Probleme, neue zu gewinnen.
Statik entwickelt sich nicht nur in unseren sozialen sondern auch in ökologischen Systemen. Stellen Sie sich ein unbesiedeltes Gebiet nach einem Waldbrand vor. Dort befindet sich nichts, außer den durch das Feuer gereinigten Waldboden.
Mit der Zeit keimen Samen auf dieser Fläche. Gräser, Sträucher, Pilze breiten sich aus. Die Pflanzen stehen noch nicht miteinander im Wettbewerb. An Ressourcen – Wasser, Sonne, Raum – mangelt es nicht.
Nach einer Weile ist das Waldstück ausgefüllt. Pflanzen treiben dichter, Bäume wachsen, Wettbewerb entsteht. Was tiefere Wurzeln hat bekommt mehr Wasser; was weiter nach oben reicht bekommt mehr Sonne; was schneller wächst mehr Raum.
Jahre später zeigt sich ein vertrautes Bild: Eine Handvoll Bäume deren Wurzeln tief in das Erdreich und deren Kronen weit in die Höhe ragen. Umgeben von bodennahen Pflanzen, die wenig Sonne und Wasser benötigen.
Das ökologische Plateau, der stabile Endzustand des Waldstücks, die Klimaxvegetation ist erreicht. Neue Pflanzen gedeihen nicht, weil die Ressourcen aufgeteilt sind.
Dynamik entfaltet sich in dieser Phase nicht mehr. Die Struktur ist verhärtet, die Pflanzengesellschaft verharrt im Gleichgewicht. Auf den ersten Blick; denn das Ökosystem hält eine Lösung bereit.
Dichte Bewaldung und harter Wettkampf um Wasser führen dazu, dass ausgetrocknete Pflanzen überall verstreut sind. Ideales Material, um den nächsten Waldbrand zu entfachen.
Ein neues Feuer brennt die festen Strukturen nieder und schafft so den Nährboden für einen Neuanfang.
Und genau das ist der Unterschied zwischen Organisationen die überleben und denen die sterben. Organisationen die überleben erkennen den Zeitpunkt, an dem Altes zerstört und Neues geformt werden muss. Sie haben die Weitsicht und den Mut, den Status quo zu brechen.
Um das zu schaffen, müssen wir uns zuerst einer Erkenntnis öffnen: Wir brauchen Stabilität, aber sie kann uns auf Dauer schwächen. Das ist leichter gesagt als getan wenn man bedenkt, wie tief das Bedürfnis für Sicherheit in unserer Psyche verankert ist. Auf unsere Intuition können wir uns hier nicht verlassen.
Auf Basis dieser Einsicht gilt es, eine Kultur aufzubauen, die in der Lage ist, ihren Schwerpunkt zu verlagern. Permanent erneuern ist ebenso wenig das Ziel wie permanent bewahren. Das Wechselspiel ist entscheidend: Zwischen Ordnung und Chaos, Erhalt und Neuanfang, Statik und Dynamik.
Wenn Ihnen das vertraut vorkommt liegt es daran, dass wir diesen Balanceakt schon lange aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Aristoteles bezeichnet mit dem Begriff »Mesotes« die vernünftige Mitte zwischen Übermaß und Mangel. Laozi schafft mit »Yin und Yang« zwei Gegensätze die sich ergänzen und zusammen Wirkung entfalten. Beide Ideen sind über 2300 Jahre alt.
Wer relevant bleiben will folgt diesem Grundsatz. Das hat sich in all der Zeit nicht geändert. Und egal welche Philosophie sie bevorzugen, eines ist sicher: Solange Ihre Organisation besteht wird diese Aufgabe nicht abgeschlossen sein.
